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Reflexionen

Reflexion über mich selbst als Teammitglied

Gerade denke ich, wie gut das Kunstprojekt "Ort des Treffens" mir (auf mich) passt (diesmal werde ich persönlich). Im wortkargen Norddeutschland auf dem Lande aufgewachsen, Flüchtling, von einer fremdsprachigen Mutter erzogen (Norwegerin), mit dem Gymnasium in die Stadt geworfen, Kommunikation mühsam gelernt - aber immer Sprache/n (und Natur) im Vordergrund des Interesses.

Auf eine begnadete - jugendbewegte - Deutschlehrerin getroffen. Ganz viel Goethe und Schiller. Sie gab mir als Abiturarbeit "Über das Gespräch" mit einem Textausschnitt von Martin Buber. Seltene Studienkombination Gemanistik (Literatur) – Biologie, schwer Vereinbares vereint, scheint meine Spezialität zu sein. Studium der Verhaltensforschung, v.a. über Kommunikation von Tieren gearbeitet, dann die Dissertation Spielverhalten in einer gemischten Menschenaffengruppe.

Ach ja, und ich kenne alle Vogelgesänge, die es bei uns gibt! Eine Zeitlang als Übersetzer von Büchern gearbeitet (aus d. Englischen, ohne Auftrag auch aus Norwegisch-Dänisch-Schwedisch) In einer anderen Zeit Gesprächskreise organisiert, dann LebensLese.Treff. Bei Ort des Treffens geht es zunächst um das Selbst-Gespräch und -Bewusstsein = Selbsttreffen; das ist eine sinnvolle Vorstufe zum Gespräch = Einandertreffen.

ORT DES TREFFENS: Erst die Reflektion, dann die Kommunikation, dadurch die Veränderung der gesellschaftlichen Umgebung = soziale Skulptur.

Helge Mücke, Hannover, April 2011

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Gedanken aus Hannover
zum "Ort des Treffens"

Die Hingabe, mit der Du, Shelley, und das Projektteam diesen Prozess für Hannover getragen habt, berührt mich. Ihr habt der Stadt etwas geschenkt. Ich sehe das Bild, dass sich mit jedem Standort des gelben Kreises während der vergangenen Monate in der Stadt, ein Fenster der Liebe geöffnet hat.

Jeder Ort des Treffens - eine Begegnung mit einem Menschen dieser Stadt mit liebevollem Verständnis, mit Respekt, mit Anteilnahme. Jeder Ort des Treffens - ein Anker des Bewusstseins. Jeder Ort des Treffens - ein Akt der Hingabe an die Stadt und an die Menschen.

Ort des Treffens stellt den Hannoveranern zwei Fragen: "Was tue ich auf der Erde?" und "Was bedeutet es für mich, auf der Welt zu sein?"

Es sind Fragen, die dem Menschen ermöglichen, sich selbst und sein Leben bewusst zu betrachten. Sich der Welt gegenüber zu stellen. Sich selbst bewusst in die Welt hineinzustellen.

Der gelbe Kreis schafft Raum. Raum für Reflexion - im Selbsttreffen. Raum, sich Fragen zu stellen, welche den Menschen ausmachen. Jeder Mensch kann sie sich stellen. Viele Menschen stellen sie sich. Oft im Verborgenen. Es ist leicht, sich allein zu fühlen mit seinen Fragen, mit seinen Antworten und mit den Fragen, welche die Antworten auf die Fragen wieder aufwerfen können. Es gibt vermutlich so viele unterschiedliche Antworten auf diese Fragen, wie es wohl Menschen gibt.

Der gelbe Kreis schafft Raum. Raum, den Anderen wahrzunehmen - in der Rolle des Zuhörers an einer der Hörstationen, als Teilnehmer eines Einandertreffens, als Begleiter eines Selbsttreffens. Raum, den Anderen wahrzunehmen, auf seinem Weg zu den eigenen Antworten, in seinem ganz eigenen Verhältnis zu diesen Fragen. Es kann gut passieren, dass ich nicht nachvollziehen kann, was der Andere sagt. Dass ich höre, dass ihm oder ihr Dinge wichtig sind, die mir ganz unwichtig erscheinen. Und gleichzeitig gibt es etwas, das uns verbinden kann: Wir stellen uns den gleichen Fragen. Wir können einander zuhören in unserem Ringen um die Antworten, die so schwer zu greifen sind.

"Was tue ich auf der Erde?" und "Was bedeutet es für mich, auf der Welt zu sein?" Der gelbe Kreis trägt diese Fragen des Bewusstseins aus dem Verborgenen in die Öffentlichkeit der Stadt. Was passiert in einer Stadt, in der diese Fragen an jedem Ort, zu jeder Zeit Raum finden können, in einem gelben Kreis, auf einer Insel des Bewusstseins?

In den wenigen Wochen, seitdem ich das Projekt kenne, hat sich meine Wahrnehmung der Stadt und mein Verhältnis zu ihr und zu den in ihr lebenden Menschen verändert. "Ort des Treffens" hat für mich gewirkt, als Möglichkeit und als Realität, ohne dass ich bisher selbst im Prozess des Selbsttreffens und Einandertreffens aktiv gewesen bin.

Dana Bolte (Hannover) - September 2009

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Hören als Ort

Erfahrungen eines Teammitgliedes

Was tue ich außerhalb des Kreises?
Was bedeutet es für mich Zuhörer zu sein?

Es gibt eine sichtbare Seite, die leicht zu beschreiben ist, und eine unsichtbare Seite. Die offensichtliche Seite ist mein Sitzen auf einem Stuhl außerhalb des gelben Kreises, in dem ein anderer Mensch auf einem Stuhl sitzt und spricht. Ich sitze in offener Haltung, oft mit geschlossenen Augen und sage nichts. Ich höre zu. Manchmal öffne ich die Augen, sehe den Menschen an, der da sitzt, schaue auf den gelben Kreis und den Umraum.

Das Unsichtbare bezieht sich auf mein Zuhören, auf die „innere Arbeit", die vor allem darin besteht den Raum freizuhalten. Mein Zuhören so zu gestalten, dass ich einen Freiraum schaffe, für denjenigen, der da spricht. Freiraum heißt in diesem Fall: ein Raum, der frei ist von Urteilen, frei von meinen Assoziationen und Gedankenblitzen und frei von meinen Kommentaren und anderen unmittelbaren Reaktionen. Das Gesagte tritt zu Tage und hat den Raum, so zu erscheinen, wie es ist. Ich nehme es auf, aber re - agiere nicht.

Wenn es mir gelingt auf diese Art zuzuhören, kann ich tatsächlich den Menschen hören, der da spricht. Ich verlasse das Gebiet, in dem ich all das Gesagte in die Waagschale meines Wissens und meiner Erfahrung werfe, so dass für mich eine vollkommen neue Erfahrung entstehen kann. Das Gesagte braucht sich nicht zu messen an dem, was ich weiß, was ich glaube, was ich meine, was ich befürworte und was ich ablehne, sondern ist in diesem Moment etwas fundamental Neues, da ich die Grenze meines Wissens hinter mir lasse. Das Sprechen erscheint mir als Schöpfungsakt, wo etwas Einmaliges zu Tage tritt, auch wenn es sich in Worte kleidet, die mir an sich bekannt sind.

Diese Art von Zuhören bedeutet für mich Vertrauen zu haben. Vertrauen, da ich mit größtmöglicher Offenheit in diese Situation gehe. Vertrauen zeigt sich in meinem Augen-Schließen. Ich gebe das Sehen ab, verzichte auf visuelle Eindrücke, und damit auch auf das, was uns das Auge vermeintlich an Sicherheit gibt, und bekomme Einsichten, die mir sonst entgehen. Meine Wahrnehmung verdichtet sich auf das Hören. Das ist der eigentliche ORT, das Hören. Wenn ich die Stille aushalte, ohne innerlich darauf zu drängen, dass etwas gesagt wird, entsteht etwas Besonderes. Die Person im Kreis hört auf sich, auf das, was da kommt und vielleicht gesagt werden will (so habe ich es zumindest in meinem Selbsttreffen erlebt), und ich höre auf dieses Lauschen. Ich höre dem Zuhören des anderen Menschen zu. Dann sitzen zwei lauschende Menschen beieinander. Aber nicht in Erwartung auf das, was kommt, sondern mit Konzentration auf das, was ist. In diesem Moment lasse ich den Anderen ganz allein.

Allein - lassen aber nicht im Sinn von fallen lassen, sondern als Respekt vor dem Raum, der nur diesem Menschen gehört. Ich ziehe mich zurück, z.B. durch das Augenschließen, werde ganz bescheiden und höre nur zu. Auch das Allein-lassen hängt unmittelbar zusammen mit dem Vertrauen. Insofern ich nämlich den Menschen, der sich da in den Kreis gesetzt hat, im Vertrauen darauf alleine lasse, dass er sich selbst zu dieser Begegnung entschieden hat, und den Raum füllen oder leer lassen kann, so wie es für ihn richtig ist. Das Allein - lassen ist meines Erachtens die notwendige Voraussetzung, dass sich ein Mensch selbst treffen kann. In diesem Raum gibt es niemanden mehr, der einem antwortet, der den Ball des Gesagten zurückspielt. Der Sprechende verantwortet jedes Wort selbst. Hier gibt es nur ein Gefäß. Ich als Zuhörer, als Begleiter, der außerhalb des Kreises sitzt, bin in diesem Augenblick Gefäß für das Gesprochene, für den Moment und was sich darin ereignet. Das Gefäß nimmt nicht das eine auf und stößt das andere ab, sondern es ist allem gleichviel Schale.

Natürlich geht es nicht darum, die größtmögliche Neutralität zu erreichen, um dieses Schale-Sein zu erreichen, sondern ich erlebe es unbedingt als liebende Geste. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass jedes Selbsttreffen ein Echo hat, einen Nachhall, der mich begleitet.

Und natürlich trifft diese Beschreibung nicht auf jeden Moment meines Zuhörens zu. Dieser dynamische Prozess ist jedes Mal anders, beeinflusst von vielerlei Faktoren und es entwickelt sich jedes Mal etwas Neues.
Lukas Oertel - Juni 2009

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Eine Begegnung, Samstag nachmittags im Mai

Ingrid Frank, Teilnehmerin


Die Karte liegt auf meinem Schreibtisch: ein Aufruf an alle Bürger Hannovers. Zwei miteinander verbundene gelbe Kreise im rechten unteren Viertel der Karte erinnern an Geometrie. Im Hintergrund ein Foto des Pavillons in den Herrenhäuser Gärten. Der Text auf der Rückseite spricht vom Selbsttreffen und Einandertreffen. Zwei Fragen wie eine Überschrift: „Was tue ich auf der Erde?" und „Was bedeutet es für mich auf der Welt zu sein?" Eine Telefonnummer, eine Mailadresse laden ein, sich zu beteiligen. Bei was eigentlich? Es bleibt mir unklar. Ich melde mich trotzdem - vorsichtshalber per Mail. Vielleicht aus Neugier, vielleicht der Fragen wegen, auf die doch niemand wirklich eine Antwort weiß. Irgend etwas lässt mich glauben, dass es sich um eine gute Idee handelt.

Ich erhalte Antwort, soll Termine vorschlagen, einen Ort um sich zu treffen. „Mein Balkon" maile ich zurück und gebe Daten vor, die ich nicht einhalten kann. Wir disponieren um. Ich plane etwas, von dem ich nicht weiß, was es eigentlich ist.

Ob der gelbe Teppich auch auf meinen Balkon passt, fragt mich mein Mail- und mittlerweile auch Telefonpartner in Sachen „Ort des Treffens". „Welcher gelbe Teppich?", ich lese die Website nun das erste mal wirklich aufmerksam. „Ach so, 1,80m, wohl eher nicht, also mein Wohnzimmer, das wird schon gehen."

Es stellt sich heraus, dass der Balkon haargenau passt. Da sitze ich dann also draußen auf dem gelben Rund, während mein Sohn von drinnen die Szenerie beobachtet. Während er sich mit dem Auf- und Niedergang Napoleons beschäftigt rede ich über den ‚Sitz im Leben‘ der gestellten Fragen und dass ich Zeiten in denen man diese Fragen nicht stellt für eine Antwort halte, dann lebt man, ist lebendig, liebt, arbeitet, lebt unhinterfragt. Erst Krisen machen derart fragend. Ich sinniere weiter. Vor mir das rote Aufnahmegerät. Den jungen Mann in der Zimmermannshose vergesse ich fast, unaufdringlich kommt er daher, macht es mir leicht mich auf die Szenerie einzulassen. „Ich lebe gerne", höre ich mich sagen und fühle dass es stimmt. Ich stammele Sätze ohne wirkliche Worte: Was tue ich? Tue ich etwas? Geht es ums Tun beim Auf-der-Welt-sein? Was ist der Unterschied zwischen Welt und Erde? Wenn ich dereinst „Ich bin" sagen kann, erledigen sich die Fragen. Bin ich?  „Mir fällt nichts mehr ein", sage ich.

Gemeinsam rollen wir den Teppich ein. Der Balkon ist wieder Balkon. Im Zimmer lernt mein Sohn noch immer den Auf- und Niedergang Napoleons. 

Mai 2009, Ingrid Frank

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Letzte Änderung: 16 04 2011